Kanutengruppe auf dem Neckar vor Neckarsteinach

Runter wie auf Öl

„Olej“ nennen tschechische Wassersportler ein Gewässer ohne nennenswerte Strömung. Es vermittelt ein Gefühl, als würde man das Paddel durch eine viskose Masse wie eben Rohöl ziehen und kaum vorankommen. Neun tschechische Gäste kämpften sich auf den Spuren von Mark Twains Floßfahrt von Bad Friedrichshall in vier Etappen nach Ladenburg.

Am 22. Juli um 15:50 erreichte die Reisegruppe den Startpunkt Bad Friedrichshall und lief zu Fuß zum Startpunkt der Wasserwanderung. Nach einer kurzen Einweisung wurde das Begleitfahrzeug mit Zelten und Schlafsäcken beladen, die Boote entladen und zu Wasser gelassen. Die Boote passierten die Kaiserpfalz in Bad Wimpfen und das Ordensritterschloss in Gundelsheim. Die dortige Schleuse wurde in den 1930er Jahren entgegen dem Versailler Vertrag als Bollwerk ausgeführt. Für unsere Gäste war es hingegen die durchlässigste Schleuse: Sie konnten die Schleusenkammer passieren. neckar-pic-2016-07-22-18-40-VF-895N-neckar019 Das Glück sollten sie kein zweites Mal haben. Die Boote erreichten am Abend den Campingplatz in Neckarzimmern unter der Burg Hornberg, dem Alterssitz Götz‘ von Berlichingen. Zelte konnten aufgebaut und Essen zubereitet werden, bevor letzteres bei einem heftigen Gewitterregen im jeweiligen Zelt eingenommen wurde.

Die Etappe am 23. Juli führte die Gruppe an Mosbach-Neckarelz vorbei. Hier wurde im Zuge eines Rüstungsprogramms mit dem Tarnnamen „Goldfisch“ am Ende des Zweiten Weltkrieges ein spätes Konzentrationslager errichtet. Die Produktionsanlagen wurden in den unterirdischen Stollen des Gipsbergwerks angelegt. In Neckarelz überquerte früher die Bahn nach Heidelberg über Aglasterhausen und Meckesheim den Neckar. Da zur Zeit des Eisenbahnbaus der Neckar durch das Großherzogtum Hessen floss, konnte man sich bis zur Reichsgründung nicht auf einen Streckenverlauf am Neckar einigen. Daher konnte Mark Twain noch in den 1870er Jahren von den Abenteuern berichten, die er beim späten Bau der Neckartalbahn erlebte, als ihm Gesteinsbrocken von einer Felssprengung um die Ohren flogen. An der Staustufe Guttenbach wurde die Umtragung der Boote für eine Pause und einen Landgang zur Margarethenschlucht genutzt. neckar-pic-2016-07-23-14-30-DMC-TZ36-p1120016Gegen 18 Uhr traf die Gruppe am Naturfreundehaus Zwingenberger Hof ein. Dort wurde sie von Ortsgruppen des Bezirks 8 „Rhein-Neckar-Odenwald“ begrüßt. Beim Grillen kam man ins Gespräch über wirtschaftliche und ökologische Aspekte der Neckarschifffahrt. Naturfreund Roland Schleihauf von der Ortsgruppe Schwarzbachtal führte steinzeitalte Kulturtechniken wie das Flechten von Stroh und Nesselfasern vor und gab in der Abenddämmerung noch einige Lieder zum Besten.neckar-pic-2016-07-23-20-58-DMC-TZ36-p1120026

Bis zur Staustufe Lindach begleitet von einigen Schriesheimer Naturfreunden, setzte die Gruppe die Neckarreise am 24. Juli fort. Kurz vor Hirschhorn wurden die Paddler von einem Platzregen überrascht. Nicht weit war zum Glück ein Anleger der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft Ersheim. neckar-pic-2016-07-24-14-11-VF-895N-neckar114Diese feierte gerade Volksfest ausgerechnet für den guten Zweck, ihr Dach neu zu dichten. Freundlicherweise begleiteten sie unsere Boote mit ihrem Motorboot, das an diesem Tag eigentlich für Spritztouren mit abenteuerlustigen Kindern vorgesehen war, und ließen uns bei ihnen Mittagspause machen. Nur wenige Meter weiter gingen wir zur Umgehung der Staustufe Hirschhorn an Land, die wegen der Verlängerung der Neckarschleusenkammern um 25 Meter auch keine Umsetzmöglichkeit innerhalb der Anlage vorsah. Daher wurden die Boote auf den Hänger des Begleitfahrzeugs geladen und neckarabwärts transportiert. Die Reisegruppe machte einen Landgang zu Burg und Altstadt Hirschhorn. neckar-pic-2016-07-24-17-08-VF-895N-neckar131Durch die Verzögerungen erreichten die Boote erst sehr spät das Etappenziel, den Campingplatz gegenüber der Vierburgenstadt Neckarsteinach, wo die Zelte für zwei Nächte aufgeschlagen werden sollten. Zu danken war vor allem den Schriesheimer Naturfreunden Udo Großkopf und Sascha Gernold, die mit einigen Autofahrten die Bootsreise begleitet und das Auf- und Abladen organisiert haben.

Am 25. Juli stand nämlich der Besuch Heidelbergs auf dem Programm. Der Beginn der Stadtführung, die auf Tschechisch angeboten werden konnte, war auf dem Universitätsplatz. Dort wies eine improvisierte Gedenkstädte auf die Menschen hin, die auf ihrer Flucht nach Europa ihr Leben gelassen haben. Dies veranlasste eine längere Diskussion über Krieg, Flucht, Migration und Integration. Dass es auch in der Vergangenheit Konflikte gab, bei denen die Religion als Anlass und Vorwand diente, davon legt Heidelberg Zeugnis ab, wie die Stadtführerin Maria Ley darlegen konnte. Jesuitenkirche, Heiliggeistkirche mit ihrer jahrhundertelangen Simultannutzung (bis es nur noch „Deutsche Christen“ gab), das Geburtshaus des ersten Reichspäsidenten, Alte Brücke und das Grabmal des Ewigen Studenten waren Stationen, bevor es mit der Bergbahn auf das Heidelberger Schloss ging. Am Ende der Führung und Einkäufen zum Mittagessen gab es eine Busfahrt aus der Schwüle der Rheinebene auf den Königsstuhl, wo wir die Landessternwarte besuchten, während ein Mitglied der Reisegruppe auf der anderen Neckarseite den Berg bestieg und die Thingstätte besichtigte. neckar-pic-2016-07-25-15-33-VF-895N-neckar205Dank sei Priv.-Doz. Dr. Sabine Reffert für ihre spontane Führung über das wissenschaftshistorische Gelände der Sternwarte, auf dem gleichwohl immer noch astronomisch geforscht wird. Nach der Rückkehr zum Campingplatz gab es einen abendlichen Ausflug in das Wehrdorf Dilsberg.

Der 26. Juli sollte der letzte Paddeltag werden. Nachdem Neckargemünd und das Stift Neuburg passiert waren, legten die Boote an der „Wasserschachtel“ an, wo Naturfreundin Imogen Hüsing sie bewachte, während die Reisegruppe die Galerie Prinzhorn besuchte, die Kunstwerke von zahlreichen Psychiatriepatienten aus 100 Jahren beherbergte. neckar-pic-2016-07-26-13-11-DMC-TZ36-p1120048Die Sonderausstellung, durch die wr kompetent geführt wurden, war Paul Goesch gewidmet, der zwischenzeitlich ein Künstler von Bedeutung war, sodass bei seiner Ermordung durch die Nationalsozialisten Ort und Zeit (und Todesursache ohnehin) gefälscht wurden, da der Name immer noch prominent war. Da der Altarm des Neckars unterhalb des Stauwehrs Wieblingen unter Naturschutz steht, wurde den Neckarkanal weitergepaddelt, und nach einer ereignisreichen Umsetzung vor der Schleuse Schwabenheim und einigen weiteren Kilometern gegen den Wind erreichte die Gruppe den Fähranleger bei Ladenburg, wo die Boote endgültig aus dem Wasser gezogen wurde. Die Gruppe übernachtete auf dem Freigelände der Naturfreunde Ladenburg. Vorher stand aber der Besuch der Schriesheimer Hütte mitten im Wald auf dem Programm. Zu ihr wurden alle mit Autos abgeholt. Es gab Suppe, und wie so häufig erbaten die Gäste das Rezept. Diskutiert wurden Freud und Leid eines Hüttenbetriebs und die weiteren Pläne der Nutzung des über die Jahrzehnte aufgebauten und gepflegten Vereinsheims.

Wieder wurden zwei Übernachtungen an einem Ort eingelegt. Am 27. Juli wurde ein Ausflug nach Speyer unternommen. Dem Führer im Dom, Dr. Appel, gelang es nicht nur, die Besonderheiten der Architektur dieser größten verbliebenen romanischen Kirche auf dem europäischen Kontinent herauszustellen, sondern auch, Bezüge zu dem ihm wohlbekannten Prag herzustellen. In Speyer ist mit Rudolf II. der erste Herrscher über das Heilige Römische Reich aus dem Hause Habsburg begraben. Darauf besuchte die Reisegruppe die Mikwe, das rituelle jüdische Bad aus dem Mittelalter. Hier konnte Dr. Miroslav Prokeš als aktiver Mitarbeiter des Jüdischen Museums in Prag die Führung übernehmen. Nach der Rückreise unternahm die Gruppe noch einen Abstecher durch die Altstadt von Ladenburg, dessen römische Überreste wenig wahrnehmbar sind, das aber an Bürgerbauten aus Renaissance und Barock viel anbieten konnte. Ein Sohn der Stadt, Johann Seilern, einer Färberfamilie entstammend, starb als Kanzler des Heiligen Römischen Reiches. Er hatte während seiner Tätigkeit am Haus Habsburg den „Pragmatischen Beschluss“, ein ausgeklügeltes Gesetz, formuliert, das die Erbfolge der Habsburger Kronlande über die weibliche Linie, also Maria Theresia, ermöglichte und somit unter anderem die Unabhängigkeit Böhmens noch um einige Jahrhunderte verschob. Am Naturfreundegelände in Ladenburg bauten inzwischen die Gastgeber auf, die zum Grillen Schriesheimer und tschechische Naturfreunde eingeladen hatten. neckar-pic-2016-07-27-18-18-DMC-TZ36-p1120069Kühles Bier schmeckte zu heißem Steak, Naturfreundin Bärbel Böhme zeigte, was alles essbares auf der Wiese wächst, eine Studentengruppe aus Heidelberg brachte uns ein Ständchen, und wir sangen und diskutierten noch bis nach Einbruch der Dunkelheit. Ein unvergesslicher Abschlussabend einer abwechslungsreichen Tour, für die die tschechischen Naturfreunde bereits eine Gegeneinladung ausgesprochen haben.neckar-pic-2016-07-27-20-27-DMC-TZ36-p1120087neckar-pic-2016-07-27-19-17-DMC-TZ36-p1120086

Der Abreisetag begann mit der Fahrt nach Mannheim. Dort besuchten wir die Yavuz-Sultan-Selim-Moschee. Der Führerin Inas Kamran gelang es, die architektonischen Besonderheiten und die Bedeutung der Einrichtung und Kalligrafien zu erklären. Darüber hinaus konnte sie ihren persönlichen Glauben nicht nur durch die Vorführung der Freitagsgebets-Liturgie,neckar-pic-2016-07-28-10-11-VF-895N-neckar257 sondern auch durch persönliche Worte für die Besucher lebendig machen. Danach hatte die Gruppe noch vor der Abreise ein wenig Zeit, Mannheim zu erkunden, bevor der Abschied nicht mehr aufzuhalten war.